Frauke und Holger Sonnabend
Frauke und Holger Sonnabend

Geschichte aktuell

Die Via Appia und andere römische Wunderwerke

 

Freundlich ausgedrückt, brauchen moderne Großbauprojekte wie – um nur zwei willkürliche und zufällige Beispiele auszuwählen - Flughäfen oder Bahnhöfe heute geringfügig länger als geplant, und sie kosten auch meistens etwas mehr als ursprünglich veranschlagt. Bei den Römern war in dieser Hinsicht alles besser. Geld? Kein Problem. Zeit? Auch kein Problem. Alles ging beneidenswert schnell über die Bühne. Und das Wichtigste: Es gab keine bürokratischen Hemmnisse, dies schon allein deswegen, weil es keine Bürokratie gab – jedenfalls in den Zeiten der Republik. In der Kaiserzeit kam es schon vor, dass das eine oder andere Formular ausgefüllt werden musste. Das hatte aber nicht die fatale Folge, dass die eigentliche Arbeit darunter gelitten hätte.

Kaiser Vespasian

Das Einzige, was einer raschen Durchführung gelegentlich im Wege stand, war die Abneigung gegen den Einsatz technischer Hilfsmittel. Klassisch ist der Fall des Kaisers Vespasian, der zwischen 69 und 79 n. Chr. das Römische Reich regierte und auf dessen Initiative der Bau des berühmten Kolosseums in Rom zurückgeht. Auf einer Großbaustelle im Herzen Roms plagten sich die Arbeiter damit ab, hohe Säulen auf den Kapitolshügel zu schleppen. Ein Ingenieur legte dem Kaiser Pläne vor, mit denen es möglich sein sollte, mit Hilfe moderner Technik die Säulen ohne großen Aufwand an ihren Bestimmungsort zu befördern. Vespasian war beeindruckt, gab dem findigen Ingenieur die Hand und eine stattliche Belohnung, lehnte aber dankend ab mit dem Hinweis, er müsse doch seine Leute ihren Lebensunterhalt verdienen lassen.

Schwierigkeiten machten zuweilen auch antike Umweltschützer. Schon lange träumte man davon, durch den Isthmos von Korinth einen Kanal zu legen. Kaiser Nero, der von 54 bis 68 n. Chr. regierte, hatte schon alles vorbereitet und war zur Stelle, um unter Fanfarenstößen den ersten Spatenstich zu zelebrieren. Da quoll, wie der antike Historiker Cassius Dio berichtet, plötzlich Blut aus der Erde hervor, man hörte Wehrufe und Geschrei, und es tauchten jede Menge Gespenster auf. Der Wahrheitsgehalt dieser Geschichte liegt wahrscheinlich im unterirdischen Prozentbereich. Lanciert wurde sie von Naturfreunden, die jedweden Eingriff in die Umwelt als eine physische Verletzung der göttlich beseelten Natur ansahen und daher diese Horrorgeschichte inszenierten.

Die Via Appia

Erwünschter waren römischen Unternehmern willfährige Lobredner wie der Grieche Aelius Aristeides, der, dafür allerdings gut bezahlt, den Römern im 2. Jahrhundert n. Chr. attestierte: Ihr habt den ganzen Erdkreis vermessen, Flüsse mit Brücken aller Art überspannt, Berge durchstochen, um Straßen anzulegen, in menschenleeren Gegenden Poststationen angelegt und überall eine kultivierte und geordnete Lebensweise eingeführt.

Besonders stolz waren die Römer auf ihre Straßen. 100.000 Kilometer umfasste das Straßennetz in der Kaiserzeit, das alle Regionen des Reiches, von Syrien bis nach Spanien, von Afrika bis nach Britannien, mit gut ausgebauten und gut gepflegten Routen verband. Als „Königin der Straßen“ galt das allererste Projekt dieser Art – die berühmte Via Appia, 312 v. Chr. durch den Senator Appius Claudius (deswegen Via Appia) in Angriff genommen. Bei der Nachwelt blieb der Name des Appius in Erinnerung, sagt der römische Historiker Livius, weil er eine Straße mit fester Decke angelegt hat. Natürlich war es nicht er selbst, der die Arbeiten durchführte, hier waren vielmehr Tausende von Ingenieuren und Arbeitern am Werk. Aber der Plan stammte von ihm ganz persönlich.

Die „Königin der Straßen“ reichte in einer ersten Ausbauphase von Rom bis Capua, später wurde sie bis nach Brundisium (Brindisi) verlängert. So erreichte sie eine Gesamtlänge von 570 Kilometern. Von Brindisi aus konnten die Römer, die in den Osten des Reiches wollten, mit dem Schiff über die Adria nach Dyrrhachium, dem heutigen Durres in Albanien, übersetzen und von dort als Anschlussverbindung die Via Egnatia bis nach Byzanz, das seit Konstantin dem Großen Konstantinopel hieß, weiterreisen. Den umgekehrten Weg nahmen alle Menschen, deren Ziel Rom war, wie jene frühen Christen, die sich die Verbreitung der neuen Religion aus dem Osten auf die Fahnen geschrieben hatten.

Augustus

Alles, was Rang und Namen hatte und auf Mobilität angewiesen war, war mindestens einmal, meist aber mehrmals auf der Via Appia unterwegs. So gehörten Caesar, Kleopatra, Augustus, Nero, Hadrian, Mark Aurel - um nur einige der prominenten Persönlichkeiten zu nennen - , zu jenen unzähligen Reisenden, die in der Römerzeit zwischen Rom, Capua und Brindisi unterwegs waren.

Einige Via-Appia-Nutzer trugen sich sogar in das virtuelle „Guiness Buch der Rekorde“ der Antike ein. Cato der Ältere, der strenge Zensor und Moralprediger, brauchte 191 v. Chr. für die 570 Kilometer von Brindisi nach Rom gerade einmal 4 Tage. Natürlich schaffte er das nicht zu Fuß, sondern profitierte von dem perfekten Service, den die Römer ihren Amtsträgern anboten. In regelmäßigen Abständen fanden dienstlich Reisende Rasthäuser mit angeschlossenen Stationen zum Erholen und zum Pferdewechseln vor.

Nicht ganz so eilig wie Cato hatte es eine Gesellschaft von Reisenden, die sich im Jahre 37 v. Chr. auf die Reise von Rom mach Brindisi machte. Ihr gehörten so illustre Zeitgenossen wie der Literaturförderer Maecenas und die Dichterfürsten Horaz und Vergil an. Hintergrund war eine diplomatische Mission im Auftrag des Octavian, des späteren Kaisers Augustus, in deren Mittelpunkt Verhandlungen mit Gesandten des Marcus Antonius standen. Horaz hat dieser denkwürdigen Reise mit dem „Iter Brundisinum“ (Reise nach Brundisium) ein herausragendes literarisches Denkmal gesetzt. Darin geht es überhaupt nicht um Politik, sondern um alles, was damals auf einer solchen Reise alles passieren könnte. Die Angaben des Horaz sind so präzise und anschaulich, dass man auch heute noch, über 2000 Jahre später, die von dem Dichter geschilderten Erlebnisse auf der Via Appia – eingedeckelt zwischen dem Anfangssatz „Hinter mir lagen die Tore der Hauptstadt“ und dem Schlusssatz „Ziel unseres langen Textes und des Weges ist endlich Brundisium“ - lebhaft nachempfinden und nachvollziehen kann.

Das Ende der Via Appia in Brindisi

Die Römer liebten ihre Via Appia, und das auch noch in den turbulenten Zeiten der Spätantike, als die Verhältnisse auch auf den Straßen unsicherer und sie auch nicht mehr wie zuvor intensiv gepflegt wurden. So schrieb im 6. Jahrhundert, über 800 Jahre nach dem Bau, der byzantinische Historiker Prokop eine Eloge auf die „Königin der Straßen“, die er ein „sehr sehenswertes Wunderwerk“ nennt, und er erinnert in diesem Zusammenhang an die phänomenale Leistung des Pioniers Appius Claudius Caecus: „So fest sind die Steine zusammen gefügt und verbunden, dass sie beim Betrachter den Eindruck erwecken, nicht miteinander verfugt, sondern verwachsen zu sein. Und obwohl lange Zeit Tag für Tag darüber viele Lastwagen fuhren und alle möglichen Lebewesen auf ihnen gingen, haben sich weder die Steine aus ihrer Verfugung gelöst noch ist einer von ihnen zerbrochen oder kleiner geworden. Nicht einmal an Glanz büßten sie ein.

Das war eben, will Prokop sagen, echte römische Wertarbeit.

 

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