Die Katastrophe von Santorin
Santorin, von den Griechen Thera genannt, ist eine der attraktivsten Inseln der Gruppe der Kykladen, deren südlichsten Teil sie zugleich bildet. Wer zum ersten Mal nach Santorin kommt und keine Gelegenheit gehabt hat, sich im Vorfeld über Geografie, Geologie und Geschichte der Insel zu informieren, staunt über ihre eigenartige Gestalt. Sie gleicht in ihrer Form einem Viertelmond oder einer Sichel. Steil ragen die Felsen nach oben, wo sich fast trotzig die weißen Häuser der Inselstadt erheben.
alaia (Alt-) Kameni und Nea (Neu-) Kameni genannt. Beide Inseln sind Vulkaninseln und liegen in der Caldera der Vulkaninsel Santorin. Die eigenartige Form der von Santorin ist das Ergebnis einer gigantischen Vulkan-Eruption, durch die die Insel buchstäblich explodierte und in der Folge diese charakteristische Form annahm.Was diese Eruption für die damaligen Bewohner von Santorin bedeutete, lässt sich ahnen, auch wenn keine schriftlichen Berichte vorliegen. Es muss befürchtet werden, dass kaum jemand die Katastrophe überlebt hat. Welche Dramen, welche Tragödien sich abspielen, bleibt völlig im Dunkeln. Ein Touristenmagnet ist die Stadt Akrotiri im Süden von Santorin. Manche sprechen gern vom „griechischen Pompeji“. Nicht zu Unrecht, denn die Ausgrabungen in Akrotiri (das ist der moderne Name, wie die Stadt in der Antike hieß, ist unbekannt) brachten eine Stadtanlage zum Vorschein, die noch viel von dem zeigt, wie sie aussah, bevor der Vulkan ausbrach. Akrotiri zeigt aber auch die Schäden, die der Vulkan anrichtete, außerdem sind Spuren von vorher gehenden Erdbeben zu erkennen.
Akrotiri wird gern als eine „minoische“ Stadt bezeichnet. Tatsächlich war sie in der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends eine Stadt, die stark unter dem Einfluss der Kultur auf der 100 km südlich gelegenen Insel Kreta stand. Dem Mythos zufolge war König Minos der kreative Kopf hinter der kretischen Kultur, die man zu Recht als die erste europäische Hochkultur bezeichnet. Nach Santorin strahlte der Glanz der Kreter in der Weise aus, dass sich die kykladischen Bewohner von Akrotiri in Urbanistik, Architektur und Kunst wie die Minoer sein wollten. Santorin zeigt: Die Kultur der Minoer war ein echter Exportschlager.
Von der ganzen Herrlichkeit blieb indes nicht mehr viel übrig, als der Vulkan die Insel in die Luft sprengte. Wann diese Naturkatastrophe, die ohne Frage zu den schwersten der gesamten Antike zählte, genau stattgefunden hat, lässt sich nicht mit Sicherheit beantworten. In diesem Punkt weichen die Meinungen der Gelehrten auch nach wie vor relativ deutlich voneinander ab. Es gibt eine Frühdatierung in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts v. Chr., die unter anderem durch Bohrungen im Grönland-Eis zustande gekommen ist. Damit konkurriert die Spätdatierung, die die Katastrophe rund ein Jahrhundert später, also gegen Ende des 16. Jahrhunderts v. Chr., ansetzt.
Das sind keine rein akademischen Fragen, denn die damit zusammenhängenden Aspekte sind wiederum von großer Bedeutung für den Zeitpunkt des Untergangs der minoischen Kultur auf Kreta. Der griechische Archäologe Spyridon Marinatos, seines Zeichens Ausgräber von Akrotiri, war der Protagonist einer Aufsehen erregenden These. Demnach habe der Vulkan-Ausbruch auf Santorin nicht allein dieser Insel schwersten Schaden zugefügt. Vielmehr habe er eine riesige Flutwelle ausgelöst, die für die Zerstörung der großen Paläste auf Kreta (Knossos, Phaistos, Malia, Kato Zakros) verantwortlich gewesen sei. Das wäre dann eine Naturkatastrophe von wahrhaft gigantischen Dimensionen gewesen, wenn auf ihr Konto auch das Ende der ersten europäischen Hochkultur gegangen wäre. Jedoch spricht, neben einer gewissen sachlichen Unwahrscheinlichkeit, auch die Chronologie gegen diese These – jedenfalls dann, wenn man sich, wofür eine Menge spricht, der Frühdatierung der Santorin-Katastrophe anschließt. Die kretischen Paläste wurden nach der Mitte des 15. Jahrhunderts v. Chr. zerstört. Wenn die Eruption des Santorin-Vulkans auf ca. 1620 v. Chr. anzusetzen ist, wird man unmöglich einen Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen herstellen können – auch damals brauchten Flutwellen für eine Strecke von 100 Kilometern nicht über 150 Jahre. Die minoische Kultur auf Kreta ging nicht – jedenfalls nicht direkt - durch eine Naturkatastrophe zugrunde. Vielmehr spielten hier auch andere Faktoren eine Rolle, wie die militärischen Aktivitäten der Mykener sowie soziale und demographische Entwicklungen.